Holunder auf Norderney

Wenn man seine Spaziergänge durch die Dünenlandschaft Norderneys startet, wird man am Rande der sehr gut ausgebauten Wanderwege auch immer wieder die teilweise bizarr geformten Holunderbüsche entdecken, die es im einzelnen sogar als kleine Bäumchen gibt und die optisch reizvolle Kontraste zu den Grau- und Braundünen bilden.

Der Holunderbusch ist eine Pflanze, um die sich Märchen und Mythen ranken.

Der Holunder ist eine typische Sukzessionspflanze, d.h. er zeigt das Ende der Kette in der Pflanzenbildung an. Die Reihe startet mit Meersenf und Strandquecke, die beide in der Flutmarke am Strand keimen können. Sie halten Sand fest und bilden so den Anfang einer Düne. Strandhafer folgt, wenn Süßwasser in der Düne zu finden ist. Auch Strandroggen kommt dann schon vor. Dann wird noch mehr Sand festgehalten und an windgeschützten Stellen erscheinen die streng geschützte Stranddistel und Nachtkerze.

Bereits fortgeschrittene Dünenbildung.

Im Schutz der aneinandergereihten Dünen findet man den Sanddorn. Die Sanddornsträucher bilden zusammen undurchdringliche Stachelgebüsche. Sanddorn ist eine wichtige Pflanze für die Düne, denn es bringt über die Wurzelknollen Nährstoffe (Stickstoff) in den Boden. Diese Nährstoffe werden von dem Sanddorn selbst auch wieder genutzt, aber es bleibt genug übrig für das Wachstum anderer Pflanzen. In der Nähe der Sanddorne sehen wir denn auch teilweise üppig wachsende Holunderbäumchen und Bodenpflanzen wie Brennnessel und Brombeere. Der Holunder ist ein Flachwurzler mit weitreichendem Wurzelwerk. Die Pflanze kann etwa 20 Jahre alt werden.

Nur im reifen Zustand lassen sich die dunklen Holunderbeeren gut verwerten. Bei Schweinen, Hunden, Hasen, Kaninchen, Meerschweinchen und Hamstern kommt es beim Fressen unreifer Früchte zu Erbrechen, Durchfall und Atembeschwerden. Auch Vögel zeigen bei deren  Aufnahme und anderer Pflanzenteile Verdauungsstörungen und Erbrechen, bei ihnen kann die Aufnahme großer Mengen sogar zum Tod führen. Größere Säugetiere meiden diese Pflanzen.

Pferde hält man besser vom Holunder fern.

Ein ganz wenig Geschichte und Mystik um diesen Strauch: In der vorchristlichen Zeit war der Holunderstrauch ein heiliger Baum, in dem die Göttin Freya wohnte. Er hielt der Sage nach den Teufel und seltsame Krankheiten auf Abstand. Darin sitzt, wie das oft so ist, auch ein Kern von Wahrheit: Der Holunder hält wegen seines strengen Geruches Fliegen fern, und diese verbreiten manchmal seltsame Krankheiten. Irgendwann im Laufe der fortschreitenden Geschichte wurde es noch mystischer: Das Aushacken oder Verstümmeln eines Holunders brachte Unglück oder Tod, der Holunderstrauch im Hausgarten galt als Lebensbaum, der wohlgesinnte Hausgeister beherbergte und vor dem man sogar den Hut zog. Das Verdorren zeigte den Tod eines Familienmitglieds an. Er galt als Abwehrmittel gegen schwarze Magie und Hexen, schützte angeblich vor Feuer und Blitzeinschlag. Man sollte unter ihm vor Schlangenbissen und Mückenstichen sicher sein, was nach der obigen Feststellung ja keineswegs unwahrscheinlich ist. Nun aber kommt’s: Dieser unangenehme Geruch des Laubes soll daher kommen, dass sich Judas einer Legende nach ausgerechnet an einem Holunderbaum erhängt hat.

Judas verräterischer Kuss für Jesus. Der Jünger erhängte sich später aus Reue über seine Tat. Quelle: Kupferstich Mattheus Merian. 1704 durch einen unbekannten Künstler mit Deckfarben verfeinert.

Daher erstaunt es kaum, dass der Holunder im Rahmen der Christianisierung prompt in Verruf geriet. Aus dem heiligen Baum wurde plötzlich ein Baum des Teufels. So schrieb denn auch Hildegard von Bingen, dass der Holunder kaum zur Anwendung beim Menschen tauge (Quelle:Wikipedia).

Andere Heilkundige des Mittelalters und der Neuzeit ließen sich von theologischen Vorbehalten weniger abschrecken und empfahlen den Holunder aufgrund seiner vielfältigen Heilfähigkeiten, was auch gut so ist. Und so sehen die Bewohner Norderneys es noch heute: Holundersaft und die Holunderbeeren, aber auch Tees aus Rinde und Blütenständen gelten als probate Hausmittel gegen Erkältung, Nieren- und Blasenleiden sowie zur Stärkung von Herz und Kreislauf und finden bis heute Anwendung. Die Gäste des Hauses “Käpt’n Hakenhand” werden in den Monaten August und September die anfangs roten, später schwarzen Vitamin-C- und kaliumreichen, ungefähr sechs Millimeter großen „Beeren“ an den zahlreichen Holundersträuchen auf unserem Eiland entdecken. Eigentlich sind es Steinfrüchte, die auch als „Fliederbeeren“ bezeichnet werden. Man muss nur die Augen aufhalten.

Holundergelee ist eine Spezialität.

Ein Klacks Holundergelee auf einem noch warmen Frühstücksbrötchen schmeckt köstlich! Auch ein Gläschen herrlich sprudelnden Fliederbeer-Sekts (eben aus dem Blütenstand des Holunders) ist keineswegs zu verachten. Auf Norderney existieren einige Spezialitätengeschäfte, in denen Sie solche Köstlichkeiten erwerben können.